
Foto: Ana Lukenda
31. Januar 2023
“Before Sunrise” im Theater Köln – Auftritt 23.02
Kleine Reben sind überraschend groß. Es trägt noch Schnuller und Strickmütze, kann noch nicht sprechen, wird aber „vor Sonnenaufgang“ schon auf 1,75 Meter geschätzt. Regisseur Moritz Sostmann und Bühnenbildner Christian Beck haben eine Welt für Riesen entworfen: Tische, Stühle, Haushaltsgegenstände – alles zu groß für die Zwergenfiguren. Sie strampeln und strecken sich, turnen auf und ab, verschwinden wie Kinder unter dem Tisch. Moritz Sostmann, der in seinen Inszenierungen gerne mit Puppen arbeitet, macht die Helden diesmal zu Puppen. Commedia dell’arte und Slapstick wussten bereits, wie gefährlich und lächerlich die Welt der Dinge sein kann. Und dass der Kapitalismus die Zahl der Dinge um den Menschen selbst in ihrer Symbolik endlos vermehrt und gleichzeitig als Widerstand lächerliche Minimalismus- oder Herabstufungsträume zulässt, ist auch bekannt.
Lager 2

Foto: Theater Köln
werSchauplatz: Depot 2 Das Schauspiel ist einer von zwei Interimsstandorten in Köln, die 2013 auf das Carlswerk-Gelände in Köln-Mülheim umgezogen sind. Neben Schauspiel gehören auch andere Kulturprogramme zum Programm.
Allerdings spielt Sostmann nicht Hauptmanns ursprüngliche Rolle, sondern eine Überschreibung von Ewald Palmetshofers Stück. Aus einer Bauernfamilie, die im Bergbau reich wurde, die Arbeiter ausbeutete und allmählich alkoholabhängig wurde, wurde eine bürgerliche Familie in der Autoteileindustrie reich. Vater Egon trinkt, seine zweite Frau Anne pocht zu sehr auf Umgangsformen. Martha, eine hochschwangere Tochter mit depressiven Neigungen, heiratete den jungen Thomas. Daraufhin übernimmt er das Geschäft, betreibt Politik mit rechtspopulistischen Parolen und sieht sich von einem plötzlich auftauchenden „linken“ Jugendfreund Alfred bedroht. Hatte Palmetshofer den gesellschaftlichen Konflikt bereits breit gestreut, so wird er bei Sostmann zur bloßen Marotte.
Daniel Nerlichs Egon, der in Schlafanzug und Bademantel in der Kneipe rumhängt, hat eine lächerliche Prahlerei, die Anja Lise Anne als Laster der bürgerlichen Etikette kaum beherrschen kann. Nicolas Benda als Thomas ist ein reaktionsschneller Opportunist im besten Sinne des Wortes mit Sakko in Sugar-Daddy-Hemden, Jeans und strähnigem Haar. Er riecht sofort, dass sein alter Freund Alfred (Thomas Müller mit krähen Höhen) nicht aus einer alten Bindung stammt. Ein Schlagabtausch zwischen beiden, also rechter demokratischer Opportunismus gegen linke Idealvorstellungen, endet immerhin unentschieden.

Währenddessen klagt Thomas’ Frau Martha (Katharina Schmalenberg) mit einem seltsamen Schwangerschaftsbauch, während seine Schwester Helen (Rebecca Lindauer) ihr berufliches Versagen hinter einer stolzen Distanz zur Familie verbirgt. Der Abend in seinen skurrilen Wendungen kräuselt sich vor ekstatischem Spaß und schätzt die Kunstfertigkeit und Verspieltheit der Darsteller. Dramatische Spannungen gibt es kaum, aber auch bei Palmetshofer geht es eher um bürgerliche Probleme, die fast schon lächerlich erscheinen, als Abgrund oder Hölle dramatisiert zu werden.
Vor Sonnenaufgang R: Moritz Sostmann | 4, 8.2. | Theater Köln 0221 22 12 84 00
Hans Christoph Zimmermann
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