
eEin Highlight der Lateinamerika-Reise von Olaf Scholz. Nach einem eintägigen Besuch in Argentinien und Chile landet die Bundeskanzlerin am Montag in Brasilia, der Hauptstadt des größten Landes Südamerikas. Kurz vor der Abreise wurde das Programm für den Besuch in Brasilien geändert: Scholz fügte einen zusätzlichen Tag hinzu.
Unter anderem lässt er sich von einem Städtebau- und Architekturprofessor die ursprünglich von Oskar Niemeyer im Stil der klassischen Moderne der 1950er und 1960er Jahre erbaute Stadt zeigen. Scholz gefällt dieser Stil: In privaten Gesprächen macht er sich manchmal über die alten Biedermeierbauten lustig, in denen fast alle Politiker und Angestellten des politischen Berlins wohnen.
Für Luiz Inacio Lula da Silva hegt er nur die besten Gefühle. Er nennt sie heimlich „Lula“ und spricht sie mit Vornamen an. Scholz sieht den Vorsitzenden der Arbeiterpartei, die die SPD als Schwesterpartei sieht, also als Genosse. Ja, vielleicht sogar als Freund. Scholz hatte während seiner früheren Amtszeit Kontakt zu Lula und hielt ihn fest, nachdem er von der Macht verdrängt wurde und wegen Korruptionsvorwürfen im Gefängnis saß.
Genosse Lula war überraschend wütend
Aber Lula wurde wieder eingesetzt und gilt nach einem gescheiterten Sturm der Anhänger des wiedergewählten Präsidenten und seines rechtspopulistischen Vorgängers Jair Bolsonaro als Held der europäischen Linken. Nachdem Bolsonaro angekündigt hatte, den Raubbau am Regenwald zu stoppen, identifizierte sich die Ampelregierung mit ihm.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist zu seiner Amtseinführung angereist. Entwicklungsministerin Svenska Schulze (beide SPD) reiste vor Scholz nach Brasilia und brachte 200 Millionen Euro mit. Dieser Fonds wurde nur für die ersten Tage von Lulas Präsidentschaft aufgelegt. Bald soll mehr deutsches Geld für den Klimaschutz in Brasilien eingesetzt werden.
Völlig überraschend kam es bereits bei geheimen Gesprächen zwischen den Delegationen zu heftigen Gemütsbewegungen. Laut einem Insiderbericht beschwert sich Lula über EU-Verordnungen, die derzeit in Brüssel finalisiert werden. Nach Europa dürfen nur brasilianische Produkte importiert werden, die nachweislich nicht im Regenwald geerntet wurden.
Lula stellt sich klar gegen das Ampel-Lieferkettengesetz
Scholz hat darauf nur indirekt Einfluss. Kritik tut ihm aber trotzdem weh. Denn der Bundeskanzler warb auf seiner Tour durch Lateinamerika auf allen Stationen für das neue Lieferkettengesetz der Ampelallianz. Damit sind deutsche Unternehmen in der Pflicht nachzuweisen, dass sie nur Ausgangsprodukte verwenden, die sozialen, ökologischen und allen anderen Standards entsprechen. Scholz propagiert das als Vorteil: Wer mit Deutschen Geschäfte macht, kann sicher sein, dass es auch in Zukunft fair zugeht. Lula sieht das anders.
Es ist nicht nur Wut. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Präsidentenpalast vermied der Brasilianer ungewöhnlich einleitende Bemerkungen und stellte sich sofort den Fragen der Reporter. Scholz sieht verwirrt aus. Lula korrigierte sich dann selbst und machte Scholz, der ein langes Eröffnungsstatement gab, das mit Nachdruck endete, zu Boden: „Es ist eine sehr gute Nachricht für unseren Planeten, dass Präsident Lula sich für den Kampf gegen den Klimawandel einsetzt und ein Ende des Amazonas und … der Entwaldung ankündigt. ! ”
Aber die Experten hören schon mit einem anderen Satz zu. Denn jetzt kommt Scholz vor dem “Klimaklub” zu Wort. Scholz hat sich diese Staatengemeinschaft ausgedacht, die ihre Klimaschutzpolitik koordiniert. Er sammelt derzeit Clubmitglieder. Der argentinische Präsident Alberto Fernandez versprach ihm seinen Eintritt am Samstag. Am Sonntag erklärte sich auch der chilenische Präsident Gabriel Boric bereit, den Ko-Vorsitz zu übernehmen.
Wenn “Dear Lula” sich nicht wie Scholz’ “Climate Club” anfühlt.
Aber Lula, der die größte Volkswirtschaft des Kontinents leitet, ist viel wichtiger. Und überraschenderweise scheint Scholz nicht bereit zu sein, dem Club beizutreten. Denn die Kanzlerin sagt nur „wir wollen viele, viele Partner aus allen Teilen der Welt haben“. Also lehnte Lula ihn ab. Aber Scholz schloss begeistert: „Ich sage noch was: Ich freue mich, wir freuen uns alle, dass Brasilien wieder auf der Weltbühne steht. Du hast gefehlt! Lieber Lula, du siehst, wir haben Großes vor und ich‘ Mir geht es wirklich gut, langfristig freue ich mich darauf, Ihnen zu helfen.”
Aber Lula sieht das wohl anders, was sich im Laufe von Lula’s langen Äußerungen zeigt – vor allem über den Krieg in der Ukraine. Denn Lula spricht nicht vom russischen Aggressor, sondern von „zwei verfeindeten Seiten“. Warum der Krieg begann, ist nicht bekannt: “Einige sagen, weil die Ukraine der Nato beitreten wollte.” Papst Franziskus sagte dasselbe. Nach Ausbruch des Krieges sagte Lula in einem Interview über den ukrainischen Präsidenten Selenskyj: “Dieser Typ ist genauso schuldig wie Putin am Ausbruch des Krieges.”
Damit rückt Lula auch neben Scholz in eine sehr eingeschränkte Perspektive. Es ist wahr, dass die “Russen” einen “klassischen Fehler” gemacht haben, als sie in das Territorium eines anderen Staates eingedrungen sind. Aber es gibt ein brasilianisches Sprichwort: „Wenn einer nicht will, streiten zwei nicht.“ Er verstand die Gründe für den Krieg nicht, aber auch die „Lüge“ des amerikanischen Krieges gegen den Irak.
Sahra Wagenknecht klang statt Scholz natürlich zur Ukraine-Politik
Jetzt ist es an der Zeit, mit Putin und Selenskyj zu sprechen. Ein internationales Bündnis mit Brasilien, China und Indien müsse sein: “Ich weiß nicht, wann der Krieg endet, wenn wir so lange untätig bleiben.” Vor der Pressekonferenz sprach Lula nicht nur ausführlich mit der deutschen Delegation, sondern auch. Auch zuvor gab es ein etwa einstündiges Einzelgespräch mit der Bundeskanzlerin.
Aber jetzt scheint er sich manchmal mit Sahra Wagennach zu unterhalten. Lulas nächster Kommentar, der sich eindeutig gegen den Klimaclub von Scholz richtet, dem er nicht beitreten will, mutet fast wie ein Irrtum an: Man könne einen „Ökologischen Club“ finden, aber auch einen „Friedensclub“.
Scholz hört teilnahmslos zu und versucht erst, als er an der Reihe ist, die Wahrnehmung zu korrigieren, Lula habe eine andere Sicht auf den Ukraine-Krieg als er: Wir sind gemeinsam stärker, „wenn wir den gleichen Weg gehen das Ende des schrecklichen Angriffskrieges in der Ukraine.” Wir auch.”
Scholz sagte dann, Brasilien habe den Angriff Russlands auf die Vereinten Nationen als Völkerrechtsbruch verurteilt. Aber das passierte noch unter dem viel geschmähten Ex-Präsidenten Bolsonaro.
Harter Schlag für Scholz
Lula antwortet nicht, aber die Zuhörer vermuten, dass Brasilien unter seiner Präsidentschaft eine ähnliche Entscheidung getroffen hätte. Das ist sehr wichtig, denn unter anderen linken Regierungschefs in Lateinamerika genießt Lula große Autorität. Es ist nicht undenkbar, dass sie nach ihm Neutralität – und Ausschluss aus den Vereinten Nationen – anstrebten.
Das ist ein harter Schlag für Scholz. Er rühmt sich zu Recht, dass er viele Länder des globalen Südens davon überzeugt hat, die russische Aggression mit starker argumentativer Beharrlichkeit zu verurteilen. Auch die Früchte seiner Bemühungen will er auf dieser Reise ernten: Argentiniens Präsident hat offenbar ebenso wie Chiles Regierungschef den Angreifer benannt und sogar versprochen, Schiffe in die Ukraine zu schicken, um russische Minen im Schwarzen Meer zu räumen.
Brasilien kann noch mehr helfen. Denn vor der WM 2014 kaufte das Land Gepard-Flugabwehrpanzer aus Deutschland, um Stadien vor Drohnenangriffen zu schützen. Das Experiment war nie nötig, deshalb hat Brasilien bis heute die Munition. Genau die Munition, die die Ukraine gerade dringend braucht.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kam in Sachen Gepardenmunition mit leeren Händen zurück: Luiz Inácio Lula da Silva begrüßte ihn vor seinem Büro in Brasilia.
Quelle: dpa/Kay Nietfeld
Scholz kauft keine Munition
Die Bundesregierung versucht, diese Waffe weltweit zu finden. Allerdings wird er nicht aus Brasilien kommen. “Brasilien hat kein Interesse daran, Waffen zu verkaufen, die in diesem Krieg eingesetzt werden können”, stellt Lula klar. “Wir sind ein Land, das sich dem Frieden verschrieben hat! Wir wollen an diesem Krieg nicht einmal indirekt beteiligt sein! Wir müssen jemanden finden, der uns hilft, Frieden zu verhandeln! In Diskussionen hört man selten das Wort Frieden!”, knurrt er fast.
Hatte Scholz das gehofft? Während der Pressekonferenz winkte er seinem außenpolitischen Chefberater Jens Plotner zu und fragte ihn etwas. Auch sein Protokollchef besucht Lula zweimal und tauscht sich mit ihm aus, während Scholz Fragen beantwortet. Das ist ungewöhnlich für Pressekonferenzen von Staats- und Regierungschefs.
Ist etwas schief gelaufen? Scholz betont dann die Gemeinsamkeiten, die es zumindest bei dieser Pressekonferenz nicht gegeben habe: „Es gibt eine klare gemeinsame Position, dass wir den russischen Angriff auf die Ukraine verurteilen.“
Lula scheint sich der Probleme, mit denen Scholz konfrontiert ist, nicht bewusst zu sein. Während der Pressekonferenz machte er plötzlich einen Witz: „Das Einzige, was jetzt nicht passieren kann: Deutschland kann Brasilien nicht 7:1 schlagen im Fußball. Ein 0 zu 0 wäre anständig.“
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